nucleus-magazin

Donnerstag, 31. Januar 2013

Vorhin bekam ich über ein russisches Socialnetwork eine Antwort von ihr.

Sie schickte mir nun ihrerseits einen Artikel der kirchlichen Webseite "Orthodoxie und Welt/Pravoslavie i Mir" - wobei Pravoslavie im engen Wortsinne Rechtgläubigkeit bedeutet und damit die Sicht der Ostkirche auf ihre eigene Einordnung innerhalb der Christenheit deutlich zum Ausdruck bringt.

In dem Artikel "Gesetz über das Verbot der Propaganda und einige Tatsachen über die reale Welt", zieht der Autor das Fazit, dass Menschen sehr wohl durch äußere Einflussnahme homosexuell werden oder dies zumindest in Erwägung ziehen könnten.

http://www.pravmir.ru/zakon-o-zaprete-propagandy-i-nekotorye-fakty-o-realnom-mire/

Zum Hintergrund des "Propaganda - Vorwurfs" ein Bericht des Tagesspiegels vom 25.01.2013:

http://www.tagesspiegel.de/politik/russland-rangeleien-wegen-geplantem-verbot-von-homosexuellen-propaganda/7686750.html

Zurück zum Artikel aus "Pravoslavie i Mir":

Das Gefährlichste an Homosexualität sei die Gefahr, sich mit AIDS anstecken zu können (in seinem Artikel bezieht sich der Autor übrigens durchgehend auf Männer, homosexuelle Frauen kommen gar nicht vor).

Den zweiten Platz im Gefahrenranking belegt die Kriminalität.

Als Homosexueller sei man häufig Opfer oder Täter.

Und der Polygamie verschrieben.

Latent schiebt er den "russischen Klassiker" - alle Homosexuellen seien Pädophile, auch noch unter. Bekannt ist, dass in Deutschland die Parteirechte mit dem "Kampf gegen Kinderschänder" auf Stimmenfang geht.

Insbesondere kritisiert der Journalist, dass Europa sich nun ganz der homosexuellen Aufklärung bereits ab dem Kindergarten verschrieben hätte und fordert in seinem Schlusssatz ganz vehement dazu auf, dem in Russland keinen Platz einzuräumen.

Nur eine Meinung, aber eine weit verbreitete.

Meine Freundin setzte folgendes hinzu.
Sie ist der Ansicht, eine sexuelle Minderheit würde ihr Toleranz abverlangen, die man ihrem Lebensentwurf aber nicht zugestehen würde - zum Beispiel wäre es in England normal, lesbisch, aber nicht gläubige Christin zu sein. Die Argumentation, Homosexualität gehöre ebenso zum christlichen Menschenbild, führte sie zu dem Satz, dies könne nur als Gruß aus der Hölle verstanden werden.

Zum "Normalsein" werde ich ihr demnächst noch etwas schreiben, der Text wurde jetzt auch so schon sehr lang.

Mein Brief an sie.

"Hallo...,

ich möchte Dir mitteilen, dass ich mit Deinem Vorschlag, nach Sibirien zu gehen, um mich von meiner LIEBE zu EINER Frau zu kurieren, nicht einverstanden bin.

Diese Liebe war auf einmal da. Und sie ist nicht gefährlich, weil sie eine Liebe zu einer FRAU ist.
- an dieser Stelle - editiert.

Liebe ist Liebe.

Es kann Dir auch passieren, dass Du Dich in eine Frau verliebst.

Für mein Leben schien es bis vor kurzem jedenfalls keine Option zu sein.

Ich bin immer schon mehr Junge als Mädchen gewesen, das weisst Du und Du hast Dich auch von mir immer wie eine (russische) Frau behandeln lassen. Ich sollte Dir Autotüren öffnen, die schwereren Dinge tragen und oft habe ich gedacht, Du überlässt mir gerne die Rolle des Mannes in unserer Freundschaft.

Es hat lange gebraucht, um dieses Gefühl auch in Worte und in eine denkbare Gestalt fassen zu können-.

Irgendwann 2005 habe ich begriffen (denk an das deutsche Wort "Begriff", also eine fassbare, formulierbare Vorstellung), dass ich ein schwules (= geij) Mädchen bin - ein Junge/Mann in einem Frauenkörper, der sich zu Männern hingezogen fühlt, also trans- und homosexuell und dass ich mich eigentlich schon immer so gefühlt habe.

Ich wollte mich jedoch nicht operieren lassen, habe im letzten Jahr aber Menschen kennengelernt, die diesen Weg für sich gegangen sind oder gehen werden, weil sie unglücklich in und mit ihrem Körper sind.

Seitdem ich mich in ... verliebt habe, ist dieses Gefühl, ein Mann in einem Frauenkörper zu sein, verschwunden.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich nun als Frau, die eine Frau liebt. Das fühlt sich genau so nach mir an, wie sich vorher das Gefühl, eigentlich ein Junge zu sein, angefühlt hat.

Es gehört zu mir.

Ich kann verstehen, dass es für Dich ungewohnt und schwierig zu verstehen ist, gerade auch, weil Du eine gläubige orthodoxe Christin bist.

Wie Du weisst, bin ich katholisch und Frauen haben in der katholischen Kirche zum Beispiel immer noch kein Recht, Priesterin oder mehr zu werden. Und natürlich ist die Katholische Kirche genau so gegen Homosexualität wie die Orthodoxe.

Aber was hat das mit m i r zu tun?

Man soll GOTT mehr gehorchen, als den Menschen.
GOTT hat nicht gesagt, dass Homosexualität oder Frauen kein Platz in der Kirche einzuräumen ist.

Das hat Paulus vielleicht gesagt, aber er ist nur ein
M e n s c h gewesen, auch wenn er ein bedeutender Mensch gewesen ist.

Zu dem Artikel, den Du mir geschickt hast:

Er gibt eine Sichtweise auf das Thema wieder, die mir bekannt ist.
Ich denke, dass es gut ist, wenn Kindern einfach - altersgemäß - ein Wissen über die Welt vermittelt wird.
Und die Welt ist so, wie sie ist.
Es gibt Dinge, die sind wunderschön und machen einfach glücklich und es gibt Dinge, die sind so entsetzlich und scheußlich, dass man eigentlich resignieren könnte.

Warum, frage ich mich, bekämpft Russland/resp. die Orthodoxe Kirche (für mich sind Staat und Kirche bei Euch wieder viel zu nahe aneinander), nicht eigentlich einmal endlich die Auswüchse des Kapitalismus bei Euch, -Kommunismustrauma?

Ich habe Dir erzählt, dass ... 2011 bei mir war.
Du hättest sie nicht wiedererkannt. Nicht nur, weil sie stark abgenommen hatte (Gewicht verloren), sondern vor allem, weil sie ihren Charakter ganz dem Konsum und einer Scheinwelt verschrieben hatte, die sie total unglücklich gemacht hat.

Sie war auch vorher sicher kein einfacher Mensch (wer von uns ist das?), aber als ich hier ihr mein Leben zeigen wollte, war es in ihren Augen nichts wert, nicht glitzernd genug, um ihren Ansprüchen zu genügen (hier: udovletvorat').

All die russischen Geschäftsstrukturen, die wenigen nutzen und vielen schaden, zeugen doch nur davon, wie wichtig das Geschäftemachen seit fast 30 Jahren in Russland ist.

Die paar Homosexuellen schaden der Moral sicher nicht.
Welcher Moral eigentlich?

Es gibt auch genug verantwortungslose Heterosexuelle, meinst Du nicht?

Viele Grüße...."

Und ein paar Gedanken hinterher:

Das 21. Jahrhundert ist unser westliches 21. Jahrhundert.

Nicht alle folgen dieser Zeitrechnung.

"Religion und Wasser für alle" und das, was dahinter steht: die globale Neuverteilung von Machtverhältnissen, wird uns alle noch sehr beschäftigen.

Toleranz ist eine zarte Pflanze, die nicht auf jedem Boden gedeiht.

Jedes Gespräch zählt.

Also sprecht. ;-)

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Gottlos?
Im Alten Testament steht geschrieben, dass Gott Homosexualität und Sodomie verboten habe (Levitikus).

Glaube ich an das, was Menschen geschrieben haben, an das, was den Menschen ausmacht?

Der Mensch kann alles sein und doch ist er eine Schöpfung.

Hat Gott sich vertan?

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Dem wahrhaft Ehrlichen liegt alles klar auf der Hand.

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Dem wahrhaft Ehrlichen....amo ergo sum
Liebe ist umfassend.
Ich sollte einfach einmal dazu stehen.
Pfui der Kleingeisterei.
Der Kopf sagt das, was er sieht.
Das Herz empfindet, was es fühlt.
Und ich möchte beiden ein Mitspracherecht einräumen.

Liebe entzieht die Illusion von Freiheit.

Liebe ist die Freiheit.

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In dem weiter oben von Ihnen verlinkten Artikel las ich unter dem Abschnitt "Buddhismus" (auch wenn es wohl keine offizielle Haltung des Buddhismus zur Homosexualität gibt) den folgenden bemerkenswerten Satz, der mich sehr, sehr berührt hat:

"Es geht zwischen Menschen nicht um die Form ihres Körpers sondern um die Form ihrer Beziehung."

Lassen Sie sich nicht verunsichern dadurch, dass Ihnen Menschen oder Weltanschauungen sagen wollen, was sündhaft und falsch ist und was nicht. Sie sind nicht in der Rechtfertigungspflicht. Gegenseitige Akzeptanz, nicht allein Toleranz, ist die Grundlage von Liebe, und wenn jemand Dogmen mehr liebt als Menschen, dann sagt das mehr über denjenigen selbst aus als über die vermeintliche Sündhaftigkeit des Kritisierten.

Ich danke Ihnen übrigens sehr für das zugesandte Foto.

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identisches Empfinden
auch mir ist genau dieser Satz in Erinnerung geblieben, weil er so bemerkenswert ist.

Der Satz spricht etwas aus, das wir möglicherweise alle ähnlich empfinden, aber ungern beherzigen.
Wie viele Menschen versuchen ihren Körper und auch ihren Charakter auf der Suche nach ....Liebe zu verstellen, zu ändern.

Ein universeller Satz.

@sturmfrau - danke für Ihren Zuspruch & Kommentar zum Foto. Vielleicht mögen Sie noch etwas dazu schreiben?


In den letzten Monaten habe ich mir überlegt, ob es überhaupt sinnvoll ist, das Thema Menschen nahe zu bringen, mit denen ich außer eine gemeinsame, meist schöne, Vergangenheit, schon lange nichts mehr teile.

Im Fall des Russen, der mich neulich besuchte, entwickelte sich das spontan aus einer Gesprächssituation, zunächst über Tausende von Kilometern hinweg, später dann hier von Angesicht zu Angesicht.

Nach einem ersten Aufhorchen seinerseits - er ist wie meine Freundin übrigens gläubiger Christ, wendete sich das Gespräch aber zum Wesentlichen, wir sprachen darüber, was d a n a c h kommt - wenn die Liebe einseitig bleibt. Wie man danach mit sich selbst und neuen Partnern umgeht, ob man diese Empfindungstiefe auch mit den anderen, danach kommenden, erhoffen soll - es war ein traurig-gutes Gespräch über Liebe, über alle Grenzen hinweg, im Wortsinne.

Was die Haltung meiner "alten" Freundin betrifft - sie macht mich auch traurig, aber vor allem in Hinblick auf sie selber. Ihr Leben ist aufgrund diverser Verluste nicht besonders lustig verlaufen - die Kirche ist daher ihr Halt.

Und ich wusste natürlich, dass Homophobie in Russland gesellschaftskonform ist, konnte aber ihre persönliche Haltung zu diesem Thema nicht einschätzen - es war nie Thema zwischen uns gewesen.

Schöner für mich wäre sicher auch gewesen, von einer beidseitig gelebten Liebe berichten zu können.

Vielleicht hätte mein Glück trotz eigener Einsamkeit und homoerotischer Komponente auf sie ansteckend gewirkt, hätte sie vielleicht nicht so reagiert? Aus Freude um mich?

So hatte es natürlich sofort eine traurige Note, die ja auch nicht gerade unbedingt einladend wirkt.

Wenn ich öfter einmal von Outing spreche, so ist das übrigens sicher nicht gegenüber meinen Eltern gemeint.

Angesichts einer Haltung, die immer von Desinteresse meinem (Liebes)leben gegenüber geprägt war, - damit meine ich, dass es meinen Eltern wirklich völlig egal war, mit wem ich zusammen war-, solange ich ihn nicht nach Hause brachte und schwanger wurde, sehe ich keinen Grund, dies zu tun.

Ich habe überlegt, wie es wäre, wenn ich es meinen Eltern erzählen würde - also im Hinblick auf ihre Reaktion - und kam zu dem Schluss, dass ich es nur im Fall einer schon bestehenden Beziehung tun würde.

Dann aber mit Stolz, Freude und strahlendem Selbstbewusstsein.

Ganz sicher.

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Meine liebe Oma
In unserem letzten gemeinsamen Gespräch vor ihrem Tod fragte sie mich ganz direkt:

Hast Du denn eine Liebe?

Sie wusste von der Trennung vom Kindesvater, dass sich dort wohl nichts mehr gemeinsames entwickeln würde.

Ich verneinte und fing an zu weinen.

Natürlich, weil es mich unvermittelt traf und die ganze Traurigkeit heraufbeschwor, aber vor allem, weil sie, selber schon ganz schwach und dem Tod ins Auge sehend, an das Leben und an das Leben ihrer Enkelin dachte und wissen wollte, ob alles in Ordnung sei.

Das Interesse an mir traf mich so heftig, dass ich jetzt schon wieder darüber weinen muss.

Wie schön und schade zugleich.

Das Foto, das wir kurz nach dem Gespräch aufgenommen haben, zeigt mich immer noch etwas gerötet und mit tränenglänzenden Augen, aber trotzdem glücklich über das Anteilnehmen ihrerseits.

Das Bild hängt in einem Rahmen, zusammen mit anderen Fotos der Menschen, die mir nahestanden.
Bleibe Dir treu, scheint es zu sagen.

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Zu dem Foto sage ich gern noch etwas, aber ich denke, das werde ich per Mail tun. Ich kam bislang noch nicht dazu - vielleicht auch deshalb, weil mir angesichts der aktuellen "Aufschrei"-Debatte die Gehirnwindungen glühen und das zugleich ein sehr emotionales Thema ist, das mich sogar beim Zähneputzen verfolgt.

Aber das ist ein anderes Thema. Oder vielleicht doch nicht? Sie schreiben vom Körperverbiegen, und damit haben Sie Recht. Die zunehmende Homophobie wurzelt meines Erachtens auch darin, dass in unsicheren Zeiten sich die Menschen gern an dem festhalten, was ihrer Auffassung nach unverrückbar ist: Körper, Körperfunktionen, Reproduktionsaufgaben und die vermeintlich biologische Bestimmung der Geschlechter.

Aber was Sie sind, was ich bin und im Grunde wir alle sind, ist so viel mehr als bloß das. Es hängt ab von unserem Charakter, unserer Geschichte, unseren Wünschen und unseren Entscheidungen darüber, wie wir leben wollen. Ob wir die Freiheit dazu haben, ist in meinen Augen ein guter Gradmesser dafür, wie viel Respekt eine Gesellschaft für ihre Mitglieder und deren individuelle Persönlichkeit aufbringen kann. Ich bin der Überzeugung, niemand hat das Recht, andere in Schubladen zu zwingen mit den Aufschriften "sündig", "unmoralisch", "abartig".

Ich weiß aber auch, dass man selbst da einen ständigen Kampf führt, sei es nun rein innerlich oder auch nach außen. Es ist ein ständiges Ringen um Identität.

Wie schön, dass Ihnen Ihre Großmutter das Gefühl geben konnte, dass Sie als Mensch akzeptabel sind, ganz gleich, wie sie sich entscheiden zu leben. Ich hatte auch so eine Großmutter, und auch ich habe Ihr Foto gerahmt, um mich an das Gefühl des Geliebt- und Angenommenseins zu erinnern.

Um sich treu zu sein und zu bleiben, muss man erst wissen, wer man ist, und das ist unter dem Sperrfeuer sozialer und moralischer Normen nicht immer leicht. Aber es ist es wert.

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