nucleus-magazin

Donnerstag, 31. Januar 2013

Wieviel Freundschaft bleibt übrig, wenn man sich zehn Jahre nicht gesehen, die Gesellschaft und man selbst sich verändert hat?

Keine Frage, es ist immer ein Härtetest.
Nun sind die Freundschaften, um die es hier geht, Freundschaften aus meinem damaligen russischen Lebensumfeld, ernsthafte und gute Beziehungen gewesen, die dort so manche Jahre überstanden hatten.

Im Februar 2011 kam nun eine Frau zu mir zu Besuch, die ich immer wegen ihrer ziemlich unkonventionellen Art, ihrem trockenen Humor bei gleichzeitiger Herzlichkeit geschätzt hatte.

Wir hatten zu Studienzeiten fast ein Jahr zusammen auf 12qm ausgehalten und nichts schien dieses entspannte Fundament erschüttern können.

Als sie wieder nach Hause fuhr, kappte ich sofort alle Verbindungen zu ihr, es war mir ein echtes Bedürfnis.

Was war passiert?

Sie hatte sich verändert, ich hatte mich verändert.
Sie war nun eine Dame aus der Weltstadt Moskau, aufgestiegen aus Provinz & Armut in höhere Ligen. Sie kam mit viel Geld, das sie standesgemäß ausgeben wollte, entsprechende Fotos sollten dies dokumentieren.

Zechensiedlungen im Ruhrgebiet und die kleine Galerie um die Ecke kamen da ganz schlecht an.

Nun hatte ich sie im Vorfeld der Reise schon darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich äußerlich und innerlich verändert hätte und sie doch bitte überlegen möge, ob sie trotzdem kommen wolle, denn so wie früher, mal eben auf den Kölner Dom steigen, ginge nun nicht mehr.

Jaja, alles kein Problem.

Na, dann.
Sie kam, wir freuten uns sehr, uns nach so langer Zeit wieder zu sehen.

Das währte nicht lange.
Ganze zwei Stunden.
Wie, kein Shoppen auf der Kö geplant, kein Kurztrip nach Paris?
Gelsenkirchen? Wer braucht denn das?!
Zwei Stunden nach ihrer Ankunft standen wir in einer Siedlung in Ückendorf, einem Stadtteil von Gelsenkirchen, pito führte ein Gespräch, sie schaute sich um und sagte:

Ich kriege hier Depressionen.

Ab dem Punkt hätte sie eigentlich schon nach Hause fahren können.

Nichts war danach gut genug.

Irgendwann fuhr sie dann für mehrere Tage alleine nach Amsterdam, schrieb uns einen langen Brief und verschwand morgens still und ungesehen nach Moskau.

Es gab in diesen rund eineinhalb Wochen einen Moment, an dem wieder alles möglich schien.

Aber auch dieser Moment vermochte nichts mehr auszurichten.
Dieses ganze Damengezicke konnte ich nicht mehr haben, gerade auch nicht von ihr, die immer ein guter Kumpel gewesen war und sprach sie direkt darauf an.
Erst dementierte sie und wies alles von sich, wurde laut und fing dann auf einmal zu weinen an.

Was ist denn bloß los mit Dir, fragte ich sie.

Sie begann zu erzählen:

Ja, ich könne mir das nicht vorstellen, wie hart das Leben in Moskau sei. Dort zähle nur Geld und Prestige und sie hätte sich ihren Platz dort hart erkämpft, hätte dafür auf Partnerschaft und Familie verzichtet und hätte jetzt eben nur noch ihren Berufsstatus, den sie mit der entsprechenden weißen Armbanduhr - sie scheuchte uns dafür drei Stunden durch die Stadt - dekorieren müsse.

Ich wies sie darauf hin, dass sie sich das selber ausgedacht hätte, dass es durchaus andere Möglichkeiten der Lebensgestaltung auch in Moskau gäbe.

Nein, nein, nein.
Sie sei jetzt darin gefangen und käme nur noch in Armut wieder heraus und sie habe sonst schon nichts im Leben.

Was für ein Elend, 2000 € ausgeben zu MÜSSEN.

Es machte mich schlicht sprachlos.

Ich erinnerte an ihre frühere Art, pfiffig und eigenständig an Dinge herangegangen zu sein - nein, das könne sie nicht mehr, sie sei jetzt schließlich eine Dame, sie habe nicht umsonst 50kg abgenommen, treibe regelmäßig Sport, esse nun fast nichts mehr............

Da fing ich dann auch an zu weinen.
Was war nur von meiner guten Freundin übrig geblieben?

Wir fielen uns in die Arme und weinten, um unser Leben und alles, was uns trennte und die Tränen waren im Vergleich zu allem, was vorher und nachher passierte, das Schönste an ihrem ganzen Besuch.

So schade.





Als im Oktober vergangenen Jahres ein weiterer guter Freund anfragte, ob er über Neujahr denn zu Besuch kommen könne, ließ ich mir sehr viel Zeit mit der Antwort.

Schließlich beschlossen wir Anfang Dezember, es einfach zu versuchen.

So much can happen, man sollte sich zu Lebzeiten sehen, meinten wir unisono.

Und es wurden phantastische neun Tage.

Nichts konnte ihn schrecken, wir waren viel in der näheren und weiteren Umgebung unterwegs und als wir in Bielefelds "guter Stube" - so nennt sich dort die historische Altstadt - standen, meinte er nur lapidar: ach nein, Gelsenkirchen ist mir lieber. Im Jahr 2005 war er schon einmal hier gewesen und hatte die Stadt mit dem Rad erkundet, während ich arbeitete.

Er war für Vieles zu begeistern - mit einem Wort: alles gut.





Heute dagegen Kontrastprogramm.

Vor zwanzig Jahren lernten wir uns kennen, sie und ich.

Sie schlau und sprachbegabt und so oft bei mir in Bielefeld zu Besuch und ich bei ihr sowieso und ihr Bruder meine große Liebe.

Letztes Jahr im Sommer suchte sie mich noch per Kontaktanzeige in ganz Deutschland, heute empfahl sie mir einen Umzug nach Sibirien.

Um mich von meiner sexuellen Perversion zu kurieren.
O - Ton!

Nach einigen Gesprächen mit ihr in den letzten Monaten hatte ich heute keine Lust mehr, dieses Thema zu umgehen.

Ich erzählte ihr, vorsichtig beginnend, da ich sie damit auch nicht überfahren wollte von meiner - für mich ebenso unerwarteten - Liebe zu einer Frau.

Sie schwieg lange.

Was dann folgte, war oben genannter Satz und eine schnelle Verabschiedung aus einem mehrstündigen Gespräch.

Ob ich Lust habe, weiter den Kontakt aufrecht zu erhalten, weiß ich noch nicht genau.

Einen Artikel in Urheberschaft der evangelischen Kirche zum Thema Homosexualität sowie einen Bericht über lesbische Pfarrerinnen schickte ich ihr jedenfalls hinterher.

Ich bin schließlich katholisch, ich darf das. :-)





That's what friends are for.

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fotos in ankündigung
möglicherweise werde ich in nächster zeit noch das ein oder andere foto von oder mit Alexey Vinogradov einstellen, alles genehmigt.

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warten
Sie hat sich heute bei mir gemeldet - dass sie demnächst schreiben wird.

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Letzte Aktualisierung: 2014.07.26, 12:50
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