nucleus-magazin

Freitag, 20. Juli 2012

Lange Jahre trafen wir uns nicht.
Der Tod und ich.
Um mich herum starben die Liebsten meiner Klassenkameraden und ich war froh, damit nicht konfrontiert zu werden.

Als ich 16 Jahre alt war, kam der Tod zum ersten Mal zu Besuch.

Es war Heiligabend und mein Opa war im Krankenhaus verstorben. Ich hatte ihn dort nur einmal besucht, die vielen Schläuche von denen meine Mutter mir erzählte, ängstigten mich und ich verweigerte den Besuch. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass dieser Opa und ich uns nie richtig nahe gekommen waren.

Am Abend zuvor war mein Vater noch bei ihm gewesen und mein Opa hatte ihm gesagt, dass er es nicht mehr schaffen würde.

Dieser Satz ist mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Das Leben schaffen.
Leben schaffen.
Schöpfung vs. Tod?
Schöpfung und Tod. Und Schöpfung und Tod....

Zum zweiten Mal kam der Tod gleich zweimal in zwei Tagen.

Kurz zuvor hatte ich den Bruder dieses Opas noch getroffen, da kam ein Anruf, dass er verstorben sei. Ich kam gar nicht zum Darübernachdenken, da rief mein anderer Opa an und teilte mit, dass meine Oma plötzlich verstorben sei. Damals war ich 18.

Ich warf mich auf den Boden und weinte den ganzen Tag.

Das rief meine Eltern auf den Plan, die der Ansicht waren, dass man gemäßigt trauern müsse, es wäre doch schließlich nur die Oma. Das machte mich unendlich wütend, ich hielt ihnen schließlich auch nicht vor, wie oder ob sie zu trauern hätten.
Ich suchte Trost bei meinem damaligen Freund, der mich mit einem Achselzucken stehenließ, er hätte jetzt seinen Skatabend und es wäre doch nur die Oma.
Ein Mittwoch im Mai 92.

In der Wohnung meiner Großeltern war es fortan nicht mehr gut. Meine Oma fehlte mir bei jedem Besuch. Innerlich suchte ich sie in jedem Raum. Aber die Räume blieben leer und es fühlte sich an, als ob auch diesen Räumen Unglück geschehen sei.

Meine Großeltern hatten mit uns Enkelkindern immer eine Art "Verbindung" zur schon lange verstorbenen Uroma aufrecht erhalten. Immer wenn die Lampe über dem Esstisch flackerte, sagten sie:"Ach, die Uroma!" Außerdem gingen wir alle zusammen regelmäßig auf den Friedhof. Es war alles gut so, unaufgeregt und der Tod nicht bedrohlich.

Als die Oma starb, schafften wir es nicht, diese entspannte Art aufrechtzuerhalten. Die Oma war der "gute Geist" gewesen, die die Familie mit ihrer zupackenden Art zusammen gehalten hatte.
Nun waren es versprengte Seelen, die sich wieder neu suchen mussten. Es war eine intensive Zeit mit meinem Großvater, aber anders. Zwei Erwachsene und beide irgendwie verlassen.
Die Unersetzbarkeit eines Menschen, leicht dahingesagt, unsagbar schwer für die Hinterbliebenen, weil eben genau zu diesem Menschen diese besondere und einmalige Bindung bestand, die nun nicht mehr erlebbar ist.

Meine andere Oma starb, als es mir selber körperlich sehr schlecht ging, über Wochen litt ich unter den damals erstmals aufgetretenen und immer wiederkehrenden Drehschwindelattacken - ich konnte nicht einmal zur Beerdigung kommen, aber meine Eltern kamen nicht nur nicht auf die Idee, mich abzuholen, sie unterstellten mir auch noch Desinteresse.

Gut, dass ich mich von ihr wenigstens verabschiedet hatte. Ein guter Bekannter fuhr mich extra zu ihr.
Auch meine Oma sagte, sie würde nun nicht mehr können, aber wir saßen zumindest noch auf dem Sofa und sie fragte mich, wie es denn mit mir und der Liebe sei.
Ach meine Oma, immer treffend, aber nie verletzend, -
danke, für all die Fragen und Kommentare, die mich immer liebevoll begleiteten!
Das Foto von dieser letzten Begegnung hängt bei mir im Flur und ich fühle mich wohl und geborgen, wenn ich sie und meine zur gleichen Zeit verstorbene Freundin anschaue.
Sie waren beide sehr alt gewesen und ich spüre immer das, was sie mir geschenkt haben und was wir uns waren.

Den Tod meiner wesentlich jüngeren Bekannten konnte ich nicht so gut verarbeiten - sie waren alle zwischen 23 und Anfang 50 und es waren viel zu viele Menschen, die auf einmal - im Laufe von drei Jahren - alle weg waren. Auch wenn ich nicht allen sehr nahe gestanden habe, habe ich deren Tod immer als wesentlich bedrohlicher und schrecklicher empfunden, als den meiner Großeltern.

Warum das so ist, kann ich nicht genau sagen. Möglicherweise spielen das Alter und die Tragik dabei eine Rolle. Das Unbegreifliche.

Der Tod gehört wohl einfach dazu.

Eine Anerkenntnis, gegen die ich mich lange gewehrt habe - das Wozu leben? konnte ich nicht allein aus der Existenz beantworten.

Ein neuer Versuch.

Leben, um zu leben.

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Letzte Aktualisierung: 2014.07.26, 12:50
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