nucleus-magazin

Donnerstag, 12. Januar 2012

Ein Schild an einer Tür: Wegen Grippeerkrankung fällt die Veranstaltung zur europäischen Expansion heute aus.
Bei der Überlegung, wie knapp zwei Stunden sinnvoll überbrücken, wenn man gerade mal nicht arbeiten muss, entscheide ich mich für Cafeteria. Also zurück in die Unihalle.
Auf dem Weg dorthin kommt man am "Café für Frauen, Lesben, Trans*" vorbei. Trans mit Sternchen wird nicht näher erklärt, die weiße Wand zieren diverse exotische Tierdarstellungen, die Eigenwerbung verspricht einen gemütlichen Rückzugsort für Vertreter des weiblichen Genders, - Gemütlichkeit ist sicher das, was ich am wenigsten mit dieser Uni in Verbindung bringe.
Vielleicht sollte ich das mal testen?
Schließlich laufe ich jetzt seit Monaten auf dem Weg zu den Seminarräumen daran vorbei.
Heute also nicht. Im Eingangsbereich steht ein Kleiderständer SecondHandSachen und ein Regal mit einem Zettel "Tausch & Schenk". Bevor ich mich über das Betrachten der Dinge vielleicht doch wieder herausbewege, gehe ich daran vorbei zur Bar.
Dahinter eine große Frau mit streng zurückgekämmtem Haar und halbem Dutt.
Eine Tafel preist Kakao mit Vanillesirup für 50ct an. So was trinke ich normalerweise nicht. Egal. Den Geldschein in der Hand, bestelle ich den Vanillekakao. Die Frau fragt mich, ob ich sofort bezahlen möchte, denn sie verstünde "meinen Geldschein in der Hand als Aufforderung zur Interaktion" - ich bin trotz Uni etwas überrascht über diese wissenschaftlich präzise Ausdrucksweise, nicke, ja, Interaktion, ja, bezahlen.
Drei Uraltsofas, die so aussehen, als ob sie noch in meiner Schule in unseren Oberstufengammelräumen zum Einsatz gekommen seien, stehen zur Wahl. Ich suche ich mir das mit dem rosa Häkeldeckchen mit Genderzeichen aus. Leise Musik spielt aus dem Lautsprecher, Björk?
An einem der wenigen Tische sitzen zwei blondbezopfte junge Frauen, die, wenn man den Gesprächsfetzen folgt, angehende Pädagoginnen zu sein scheinen.
An der Bar sitzt noch eine ältere Frau und zupft Etiketten von Teebeuteln in ein Schälchen. Sie hat bestimmt schon dreißig abgezupft, als sie geht.

Ich beginne im mitgebrachten Buch zu lesen.
Plötzlich ächzt sich eine Frau zur Bar, die Hände und Arme vollbepackt mit Tablett, Teller und Tasse, Tüten noch irgendwie untergeklemmt. Nachdem sie alles abgeladen hat, begrüßt sie die Frau hinter der Bar. Sie umarmen sich, plötzlich sagt die Barfrau laut vernehmlich: "Du fühlst Dich aber anders an, als vor einem halben Jahr, gilt das auch für Innen?"
Direkte Frage.
"Ja," meint die andere, "ich habe sogar fünf Kilo davon abgenommen."
Die Barfrau hockt sich auf den Barhocker, bei 1,80m eine solide sportliche Leistung. Irgendwie schafft sie es auch noch, ihre Beine dabei zu überkreuzen. Die Bedeutung für Barhocker erschließt sich mir ganz neu.

Ich kehre zu meinem Buch zurück.
Für einige Zeit versinke ich in der Geschichte und blicke erst wieder auf als eine sehr korpulente Frau den Raum betritt, die sich zum Arbeiten auf die gegenüberliegende Sitzgruppe zurückzieht. Kurz danach wird es voll, eine Gruppe junger Frauen nimmt den letzten verbliebenen Tisch. Eine ihnen offensichtlich fremde Frau, die kurz nach ihnen eingetreten ist und noch ganz klischeehaft mit Schlabberhose, lila Pullover und Halstuch gekleidet ist, bittet die Runde um einen USB - Stick, den aber niemand dabei hat.
Ich überlege, ob unter den Cafébesuchern überhaupt Lesben oder Trans mit Sternchen sind. Die beiden Frauen an der Bar unterhalten sich gerade über ihre Freunde und mögliche Schwangerschaften, über Heiraten und Hausbau, na, die wohl eher nicht, die Lautstärke der Gespräche - Weghören unmöglich. Eine junge Frau mit Do-it-yourself-Haarschnitt und Jungsjeanshose kommt hinzu, sie trägt ein schwarzes Kapuzenshirt mit einem angenähten Seepferdchenabzeichen. Sie erzählt, sie hätte zwar kein Haus und keinen Garten, aber zumindest ein Seepferdchen. Das ist doch mal was....

Gerade als ich wieder zum Lesen ansetze, betritt eine Frau mit ganz kurzen Haaren und Schmollmund den Raum. Sie geht hinter die Bar, zieht sich aus, bis sie nur noch im schwarzen BH und Hose dasteht.
Dann zieht sie sich wieder an.

Ich packe das Buch weg.
Die Zeit ist auch um.

Ob es gemütlich war, weiß ich nicht - unterhaltsam war es auf jeden Fall und für 50ct eine echte Entdeckung.

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Sind Menschen vielleicht doch Typen?

Nein, das kann nicht sein! Mein Menschenbild basiert auf dem Individuum. Jeder Mensch ein unverwechselbare Welt.

Aber andererseits ...

... andererseits wurde ich selbst in diesem Cafe ebenfalls in gewisser Weise auf einen Typ reduziert. Als ich nämlich veivolare zum nächsten Seminar abholen wollte, bat frau mich, draußen zu warten. Der Grund dafür war mein Bartwuchs.

Was, wenn ich nun ein Trans mit * gewesen wäre ... ja, da wirds schon kompiliziert, und das Typenkonstrukt gerät ins Wanken. Hatte ich also doch recht! :-D

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Letzte Aktualisierung: 2014.07.26, 12:50
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